Talk:Requiem in A major (Biber, Heinrich Ignaz Franz von)

Einführung

Die vorliegende Edition ist eine aktualisierte, für den praktische Aufführungsgebrauch gedachte und längst überfällige Fassung einer bereits 1977 erschienenen Partitur, die als Anhang einer musikwissenschaftlichen Arbeit über H.I.F. Biber hinzugefügt wurde1. Diese Arbeit stützte sich darauf, die überlieferte Quelle2 in die Salzburger Verhältnisse einzuordnen und das repräsentative und groß disponierte Werk mit einem konkreten Anlass in Verbindung zu bringen. Biber versah seit 1684 das Amt eines Hofkapellmeisters3 und war nunmehr allein für die musikalische Ausgestaltung der liturgischen Feierlichkeiten verantwortlich4. In diesem Zusammenhang hatte Biber auch das Requiem à 15 zum Funus bzw. für die Totenliturgie einer hochgestellten Persönlichkeit der Salzburger Kurie komponiert. Die Salzburger Kapitelprotokolle des ausgehenden 17. Jahrhunderts beschreiben mehrere Exequienfeierlichkeiten, von denen die 1687 für Kardinal-Erzbischof Maximilian Gandolph von Kuenburg vielleicht die aufwändigsten sind5. Allerdings trägt das Titelblatt der Quelle den Autorenhinweis Henrico I: Franc: à Bibern6, so dass auch ein Begängnis nach 1690 nicht auszuschließen ist7. Der Anlass und der Entstehungszeitpunkt der Komposition lassen sich jedenfalls vom Befund der musikalischen Quelle nicht exakt einordnen8. Das Requiem à 15 wie auch andere Messen Bibers9 stellen einen bedeutenden Beitrag zur Geschichte der Kirchenmusik im 17./18. Jahrhundert dar, insbesondere ihre mehrchörige Disposition betreffend. Hinsichtlich der Aufführungspraxis müssen wir von damaligen Salzburger Gepflogenheiten ausgehen. Dabei wurden verschiedene, miteinander konzertierende Instrumental und Vokalgruppen auf die 4 Pfeileremporen der Vierung verteilt, wie es auf einem zeitgenössische Stich dargestellt ist10: Nordöstlich befand sich der „Prinzipalchor“ mit Kapellmeister und Vokalsolisten (Concerto) sowie der Basso continuo, auf dem „anderten Chor“ (südöstlich) die Streichinstrumentalisten, während Bläser und Tuttichor sich auf die 2 weiteren Emporen verteilten; jede dieser Emporen war mit eigenen Orgeln ausgestattet11, die im Tutti oder bei entsprechender Gruppierung der Stimmen zu den jeweiligen Chören hinzutraten. Auch eine 5-chörige Aufteilung, wie wir sie aus der Beschreibung von Frater Heinrich Pichler aus Kremsmünster aus dem Jahre 1745 kennen, wäre hier möglich: „Die Vesper wurde unter der ganzen Music producirt (vom vollen Ensemble) auf 5 Chöre, in einem waren die Vokalisten, die Orgel, die Bassaunen (Posaunen), zwey Bäss, auf dem anderen die Violinisten nemlich 12, auf dem 3. (und 4.) 6 Trompetter, andere (Organisten) und ein Bauggen (Pauke), der 5. Chor aber ist herunten bey dem Altar und bestehet diese in der Capellen-Music sambt einer Orgel und Bass, diese aber singen nur mit, wan es tutti ist (im vollen Ensemble). Den Tact muess geben auf dem 1. Chor vor alle der Capelln-Maister....“12. Jedenfalls in einer dieser Aufstellungen wurden die Messteile wechselchörig musiziert. Die musikalischen Abläufe bewegen sich den räumlichen Gegebenheiten entsprechend meist in langsamen Wechseln zweier Harmonien. An anderen Textstellen jedoch, etwa beim Te decet im Introitus oder in der Sequenz Dies irae wird im Sinne der musikalischen Rhetorik des Barock kühne Harmonik eingesetzt13. Insgesamt ist ein Dekorum angestrebt, das dem Anlass einer barocken Totenmesse für einen „hohen“ Verstorbenen entspricht. Nicht Trauer, sondern Repräsentation bestimmt die vorherrschende A-Dur-Klanglichkeit.


I. Die Quelle Aufbewahrungsort: Die 28 Stimmhefte des Requiem à 15 wurden im Konsistorialarchiv Salzburg (Archiv des Domchores) unter der Signatur A 181 aufbewahrt. Eine Partitur existiert nicht. Die Stimmhefte weisen ein Hochformat von ca. 29:20,5 cm auf. Ihre Seitenzahl ist unterschiedlich und schwankt zwischen 5 Seiten der Tromba-Stimme und 15 Seiten des Organo-Parts. Sie werden umfasst von einem losen Umschlag aus demselben Papier wie die Stimmen mit dem Titel (untereinander): REQUIEM: à 15 in Concerto. 2. Canti. 1. Alto. 1. Tenore. 2. Bassi. 4.Viole di Brazzio. 2. Trombe Basse. 3. Tromboni. 2.Piffari ad libitum. &. Voci in Capella. Autore Henrico I: Franc: à Bibern Verwendet wurde ein grobgeschöpftes, gelbliches Papier14. Die mit (inzwischen) bräunlicher Tinte beschriebenen Blätter weisen eine einheitliche, saubere und versiert sorgfältige Handschrift auf, die von Hintermaier dem anonymen Schreiber 111 zugewiesen wird15. Meine neue Edition der Vesperae à 32 von H.I.F. Biber und die langjährige Beschäftigung mit dieser Quelle brachte zu Tage, dass der Schreiber 111 aus Salzburg und der Schreiber der Vesperae à 32 identisch sein muss, d.h. es handelt sich höchstwahrscheinlich um Bibers eigene Handschrift. Hilfreich dabei war der Vergleich mit einer anderen Quelle, die mir 1995 bei Nachforschungen zu Bibers Kompositionen zur Verfügung gestellt worden ist. Dabei handelt es sich um ein Instrumentalwerk Bibers (Trombet = undt Musicalischer Taffeldienst = à 4.) aus seiner Dienstzeit in Salzburg, die in Kremsier überliefert ist16. Eine direkte Gegenüberstellung der Schreib- und Notenschrift führte hier zu eine positiven Ergebnis hinsichtlich der Autographen-Frage17. Die sorgfältig angefertigten Stimmen sind nahezu fehlerlos. Lediglich die (von anderer Hand verfertigte) Basso Ripieno-Stimme weist an vielen Stellen Abweichungen gegenüber der Bc- Stimme auf: Fehlen von Gb-Ziffern und Akzidentien, was teilweise zu Inkonsistenz zu anderen Stimmen führt. Diese Fehler sind Flüchtigkeitsfehler, so dass die Bezifferung der Bc-Stimme als maßgeblich zu gelten hat.


II. Zur Edition Die Vokal- und Instrumentalstimmen wurden in der Partitur, entsprechend der Aufführungspraktiken am Salzburger Dom des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts, auf mehrere Chöre verteilt18: 1. Sechs voci in concerto und sechs voci in capella (in der Partitur in gemeinsamen Systemen, unterschieden durch die Vermerke „Solo“ und „Tutti“19; mit den beiden Canti in capella musizieren 2 Oboen colla parte, die in der obersten Akulade gesondert notiert werden). 2. 3 Tromboni 3. 2 Trombe20 4. 2 Violini21 , 2 Violen und 1 Violone (identisch mit diesem musiziert die Fagottstimme) 5. Basso continuo (entspricht den Orgelstimmen) Die originale Schlüsselung ist, wenn von dieser in der Edition abgewichen wird, folgendermaßen dokumentiert: Canto 1+2 = Sopranschlüssel, Alto = Altschüssel, Tenore = Tenorschlüssel, Violino (Violetta) 1+2 und Oboe 1+2 = Sopranschlüssel; im Basso ripieno und Basso continuo kommen alle Schlüssel vor. Die Tromben sind transponierend im G-Schlüssel zu lesen22. Ergänzt wurden Taktzahlen und -striche (die Doppelstriche innerhalb der Sätze sind hingegen original). Ebenfalls wurde in allen Singstimmen der Text vollständig ausgeschrieben, da in der Quelle häufig Wiederholungskürzel gebraucht wurden. Die Schreibweise des Textes ist ohne Nachweis dem heutigen Wortlaut des Graduale Romanum angeglichen worden. Bindebögen wurden konsequent der Quelle folgend übernommen, gegebenenfalls bei Diskrepanzen zwischen den Stimmen nachgetragen23. Gleichfalls ergänzt bzw. angeglichen wurden dynamische Angaben . Alle weiteren Ergänzungen des Herausgebers wurden in den Noten diakritisch gekennzeichnet: so wurde das ergänzte Trillo-Verzierungszeichen geklammert hinzugefügt, das ansonsten in seiner originalen Schreibweise „t“ übernommen wurde.


1 W. Jaksch, H.I.F. Biber, Requiem à 15. Untersuchungen zur höfischen, liturgischen und musikalischen Topik einer barocken Totenmesse, München-Salzburg 1977 (mit Partitur). Die vorliegende Aktualisierung wurde notwendig, nachdem eine Ausgabe in der WEAM 13 im Jahr 2000 erschien und kommentarlos die bereits 1977 edierte Partitur sowie die vielen Forschungsarbeiten zu Biber und seiner Mehrchörigkeit geflissentlich überging. 2 Die 28 Stimmhefte des Requiem à 15 wurden im Konsistorialarchiv Salzburg (Archiv des Domchores) unter der Signatur A 181 aufbewahrt. Eine Partitur existierte bisher nicht. 3 Der bisherige Domkapellmeister Andreas Hofer verstarb am 25.2.1684 . 4 Neben A. Hofer komponierte Biber schon lange vor seiner Ernennung zum Vizekapellmeister im Jahre 1679 Werke für den gottesdienstlichen Gebrauch: so etwa 1674 die Vesperae à 32 (hg. v. Werner Jaksch in: www.imslp.org ), die in der mehrchörigen Anlage bereits längst die am Salzburger Dom übliche Aufführungspraktiken aufweisen. Seine Meisterschaft stellte er 1682 in der für die 1100-Jahrfeier komponierte Missa Salisburgensis unter Beweis, vgl. dazu E. Hintermaier, Missa Salisburgensis , in : Musicologica Austriaca 1 (1977), auch W. Jaksch, Missa Salisburgensis, in: AfMw 35 (1978). 5 Die Feierlichkeiten dauerten 6 Tage. Nach der Waschung, „Exenterierung“ (das Herz wurde nach Maria Plain überführt) und Einbalsamierung des Körpers wurde der Leichnam mit den standesmäßigen Insignien eingekleidet und in der Residenz aufgebahrt. In dieser Zeit wurden Gottesdienste abgehalten: die Kapitelprotokolle nennen 20 Chorherren und 8 Choralisten, die während dieser 6 Tage für die Offizien zuständig waren. Außerdem wurden 3 besonders feierliche Gottesdienste zelebriert, an denen der gesamte Hofstaat und das Domkapitel teilnahmen. Den Höhepunkt stellte die Überführung des Leichnams in den Dom am 9. 5.1687 dar: der Leichenkondukt setzte sich aus verschiedenen Bruderschaften, Mitgliedern des Erzklosters St. Peter, dem Hofstaat und der hohen Geistlichkeit zusammen. Einzeln aufgezählt werden in den Annalen Mitglieder des Domkapitels, Prälaten und Äbte, der Domprobst (der auch als Zelebrant fungierte) und der Abt von St. Peter. Der Kondukt wurde vervollständigt durch 12 Leichenträger, den Magistrat, verschiedene Repräsentanten der Stadt, Militär und Zünfte (vgl. W. Jaksch, H.I.F. Biber, a.a.O. S. 57 f.). Diese Staatsaktion, deren Kosten sich auf mehrere tausend Gulden beliefen, endete in dem mit schwarzen Behängen und aufwändiger Beleuchtung ausgestatteten Dom: Der Sarg wurde vor dem Altar aufgestellt, danach wurde die Totenmesse mit der Absolution zelebriert. Das Requiem à 15 fungierte bei dieser Abschlußmesse mit großer Wahrscheinlichkeit als musikalisches Dekorum. 6 Biber ist der Resolution Kaiser Leopolds I. zufolge 1690 geadelt worden. 7 So etwa für den Domdechanten Wilhelm von Fürstenberg am 9. 5. 1699. Andererseits kann das Deckblatt auch später im Zusammenhang mit einer Wiederverwendung geändert worden sein. 8 Für eine späte Einordnung spricht vielleicht die Verwendung der damals noch „neumodischen“ Hautbois statt der ansonsten üblichen Zinken als Colla-parte-Instrumente der Soprane im Tutti. 9 So z.B. Missa Alleluia, hg. v. Werner Jaksch, Stuttgart 1995 ( Carus 40.679/01). 10 Stich von Melchior Khüsell, anläßlich der Säkularfeier von 1682 angefertigt (heute im Museum Carolino Augusteum, Salzburg). 11 Vgl. J. Neuhardt, Die Pfeilerorgeln im Dom zu Salzburg, in: Sonderdruck des Domkapitels zur Wiederherstellung der Vierungsorgeln, Salzburg 1991. Vgl. auch Ernst Hintermaier, „Die Dommusik im 18. Jh.“, in: 1200 Jahre Dom zu Salzburg 774-1974, Festschr., hg.v. Metropolitankapitel, Salzburg 1974, S. 148 f. 12 Vgl. J. Neuhardt, a.a.O. (ohne Seitenangabe). 13 Im Te decet Cis- und Gis-Dur (übrigens interessant bei Aufführung in mitteltöniger Stimmung!). 14 Wohl identisch mit dem ansonsten damals in Salzburg verwendeten Papier aus der Langenfeldener Papiermühle, vgl. E. Hintermaier, Missa Salisburgensis, a . a. O., S. 157. 15 Vgl. E. Hintermaier, Missa Salisburgensis, a . a. O., S. 157 ff. Auffallend ist beim Requiem à 15 die durchgängig angewandte Schönschrift (quasi Druckschrift) in der Textierung der Singstimmen. 16 Die dortige Signatur lautet A 879. 17 Eine Gegenüberstellung beider Deckblätter befindet sich in der Vesper- Edition im Kritischen Bericht www.imslp.org auf S.7. Auffallend neben handschriftlichen Korrespondenzen ist insbesondere das den Titeln vorangestellte Motto: (beim Taffeldienst) AMDGBMVH S Josephi H.(= Ad Maiorem Dei Gloriam Beatissimae Mariae Virginis Sancti Josephi Honorem). Nach J. Sehnal handelt es sich um ein Autograph aus der Zeit um 1673/4, vgl. DTÖ 127 (1974); der Revisionsbericht in den DTÖ 151 (1997) , S. 114 klärt sogar die Herkunft des für die Kremsier Handschriften Bibers verwendeten Papiers: es stammt aus der Papiermühle von Georg Riepel aus Raitenbach (OB), der den Salzburger Hof damit belieferte. Eine besondere Korrespondenz dieser Quellen und dem Manuskript des Requiem à 15 stellen vor allem die bezifferten Continuostimmen mit einer außergewöhnlich charakteristischen Ziffer-Schreibweise her. Differenzen weisen hingegen die F- und G- Schlüssel auf, was mit der unterschiedlichen Entstehungszeit der jeweiligen Werke zusammenhängen könnte. Vgl. im Vorwort zum Requiem S. 7. 18 Muster hierfür ist die bereits edierte Missa Alleluia ( Carus 40.679/01) Bibers. 19 Im Manusskript steht dafür S: = Solo und R: = Ripieno. 20 Übernommen wurde die Notierung in C (d.h. ohne Vorzeichen); im Original steht auf der Tromba 1-Stimme links oben NB:2 Ton niderer. 21 Im Original fordert Biber Violetten, also Diskantviolen; daher die Sopranschlüssel-Notierung. 22 Siehe Anm.20. 23 Eine Ausnahme bilden die Instrumentalstimmen, die ihre originale Notation behielten.